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Die von Kaiser Joseph II. am 20. Februar 1784 erlassene Matrikenordnung war ein entscheidender Schritt in der österreichischen Verwaltungsgeschichte. Denn die bis dahin nach kirchlichen Vorschriften geführten Matriken mußten nun nach staatlichen (kaiserlichen) Vorschriften und im Auftrag des Staates geführt werden. Sie waren de facto Staatsmatriken, die aber weiterhin von der römisch-katholischen Kirche geführt werden mußten.

Hier das Original aus der Sammlung der k. k. landesfürstlichen Verordnungen in Publico-Ecclesiasticis, 1784:
http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=vpe&datum=1784&page=34&size=45

Hier die buchstabengetreue Transkription:

"Wir Joseph der Zweyte, von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, König in Germanien, Hungarn, und Boheim, Galizien, und Lodomerien etc., Erzherzog zu Österreich, Herzog zu Burgund, und zu Lotharingen, etc. etc.

Die Register über Trauung, Geburt, und Sterben sind sowohl in Ansehen der öffentlichen Verwaltung, als der einzelnen Familien von größter Wichtigkeit. Die öffentliche Verwaltung erhält daraus über das Verhältnis, über die Vermehrung oder die Verminderung der Ehen, über den Zuwachs und Abgang der Gebohrnen, über die Vergrößerte oder verminderte Sterblichkeit nützliche Kenntnisse. Einzelnen Familien diesen sie in mehr als einer Angelegenheit zu beweisenden Urkunden, und nicht selten sind sie die Grundlage gerichtlicher Entscheidungen, von denen der Stand des Bürgers, und ganzer Verwandschaften abhängt. Aus diesem Grunde sind Wir dem Wohl unterer Unterthanen die Sorgfalt schuldig, diesen Registern, deren Gestalt bis itzt bloß willkürlich, deren Glaubwürdigkeit von einem einzelnen Menschen abhängig war, eine solche Einrichtung vorzuschreiben, welche, da sie dieselben Absicht des Staates brauchbarer machet, mit der allgemeinen Gleichförmigkeit, zugleich die gesetzmässige Sicherheit vereinbaret.

§ 1. Jeder Pfarrer also hat von nun an über seinen Sprengel drey abgesonderte Bücher zu führen: ein Traungsbuch, ein Buch zu Einzeichnung der Gebohrnen, und ein Buch über die Gestorbenen. Das Trauungsbuch muß nach dem unter Nr.1. beigefügten Formular folgende Rubriken haben. Jahr, Monat, und Tag der Trauung, den Numer des Hauses, den Tauf und Zuname des Bräutigams, die Religion, und Alter desselben, ob er unverheurathet oder Wittwer ist: Tauf und Zuname der Braut, ihre Religion, Alter, unverheurathet oder Wittwe. Tauf und Zuname der Zeugen, oder sogenannten Beistände, und ihren Stand.

§ 2. Die Rubriken des Bräutigams und der Braut werden von demjenigen eingetragen, so die Trauung verrichtet. Die Zeugen aber sollen, wenn sie des Schreibens kündig sind, sich jedesmal eigenhändig einschreiben. Können sie nicht schreiben, so schreibt der Schulmeister, oder sonst jemand an ihrer Stelle ein. Jedoch müssen sie an ihrer Statt gemachte Einschreibung mit einem Kreuze, oder sonst einem Zeichen von ihrer Hand auf die Art, wie es sonst bei Testamenten oder Verträgen üblich ist, bekräftigen.

§ 3. Am Ende einer jeder Seite des Trauregisters unterzeichnet der Pfarrer seinen Namen eigenhändig. Wenn aber eine Trauung nicht von dem Pfarrer selbst verrichtet worden, so muß bei jedem Falle von dem Trauenden besonders unterzeichnet werden. Ein ordentlicher Kooperator unterzeichnet ledig mit dem Beisatze Kooperator. Wenn aber ein fremder Pfarrer an der Stelle des Pfarrers die Trauung verrichtet, so ist seiner Fertigung noch beizusetzen: daß er von dem Pfarrer die Vollmacht erhalten hat.

§ 4. Um sowohl die Zahl der Gebohrnen überhaupt, als die Zahl der Kinder von jedem Geschlechte, dann ob sie in oder ausser der Ehe erzeugt worden, sehen zu können, sind dem Geburtsregister nach dem Formular Nr.2 folgende Rubriken zu geben Jahr, Monat und Tag der Geburt, der Hausnummer, des Kindes Taufname, sein Geschlecht, ob ehlich, oder unehlich : der Tauf und Zuname der Aeltern, ihre Religion : Der Tauf, Zuname und Stand der Pathen (Gevatter). Bei unehlichen Kindern ist der Name des Vaters in den Taufbüchern nicht mehr beizusetzen. Denn diese bloß nach der Aussage der Mutter, nach einem ungefähren Rufe, oder die Vermuthung des Seelsorgers mögliche Einschreibung bleibt immer sehr zweydeutig, setzt den vermeinten Vater in den Augen der Welt herab, und hat im Rechte weder auf Mutter noch Kind einigen Einfluß. Nur dann also ist bei unehelichen Kindern der Name des Vaters beizu setzen, wenn dieser sich selbst dazu bekennt. Die Pathen müssen gleich den Zeugen im Trauungsbuche entweder eigenhändig einschreiben, oder wenn jemand an ihrer statt einschreibt, die fremde Hand durch ein beigesetztes Zeichen bekräftigen.

§ 5. Die Sterberegister bei den Pfarrern sind aller Orten nach dem Formular Nr.3 mit sechs Rubriken zu führen, nämlich Jahr, Monat und Tag des Todes, die Hausnummer, Name, Religion, Geschlecht, und das angegebene Alter des Gestorbenen. Wo aber in einem Orte zwar keine Todtenbeschau, jedoch ein Kreisphisikus, oder geprüfter Wundarzt vorhanden ist, kommt zu den vorigen noch die siebente Rubrike, nämlich der Krankheit und Todesart beizusetzen. Zu diesem Ende werden die Kreisphisici und Ortschirurgi angewiesen, dem Pfarrer bei jedem Gestorbenen, zu dem sie gerufen worden, die Krankheit schriftlich anzuzeigen.

§ 6. Die Juden sind gleichfalls zu Führung dieser drey Register anzuhalten, und von denselben die vorgeschriebenen Rubriken mit der geringen auf ihre Religion angewendeten Aenderung beizubehalten. Wo der Ortsrabiner aufgestelt ist, hat derselbe die Register zu führen : bei einzelnen Familien aber derjenige Rabiner, welcher dem Orte an nächsten wohnet.

§ 7. Bei Untersuchung der Diözesen ist es die Pflicht der Bischöfe sich jedesmal die Trauungsbücher, Geburt und Sterbregister vorlegen zu lassen.

§ 8. Auch die Kreisbeamten haben von Zeit zu Zeit nachzusehen, ob diese Bücher aller Orten nach der Vorschrift geführt werden.

§ 9. Zu End eines jeden Jahrs sollen die Pfarrer, wie auch die Rabbinen von allen 3 Registern eine mit dem Formular in Rubriken übereinstimmende Jahrstabelle zusammziehen, und dieselbe längstens bis halben Jänner, nebst dem Konskriptionsbezirke, auch an das Kreisamt einschicken.

Gegeben in unserer Haupt= und Residenzstadt Wien, den 20ten Tag des Monats Februarii im siebenzehnhundert vier und achtziggsten unserer Regierung, der römischen im zwanzigsten, und der erbländischen im vierten Jahre.

Joseph
Leopoldus Comes a Kollowrat
Reg Boh Sup & A.A. prius Canc.
Johann Rudolph Graf Chotek
Tobias Philipp Freyherr von Sebler
Ad Mandatum Sac Cael
Regiae Majestatis proprium
Joseph von Sonnenfels"

Beigelegt waren Muster-Formulare für:

Nr. 1 - Trauungsregister
Nr. 2 - Geburtenregister
Nr. 3 - Sterberegister

 

Was war nun neu an den Vorschriften?

1. Erstmals mußten die Geburten, Hochzeiten und Sterbefälle aller Menschen protokolliert werden und zwar nach einheitlichen Vorschriften.
Seit 1781/1782 gab es neben der römisch-katholischen ja weitere anerkannte (tolerierte) Konfessionen:
- die evangelischen Kirchen A.B. (Lutheraner) und H.B. (Reformierte)
- die orthodoxen Kirchen
- die israelitischen Kultusgemeinden
- die armenisch-apostolische Kirche (seit 1783)
- die griechisch-katholische Kirche
- die armenisch-katholische Kirche

2. Die anderen christlichen Konfessionen durften zwar eigene Matriken führen, aber diese besaßen keinen amtlichen Charakter.
Die Standesfälle der tolerierten christlichen Konfessionen mußten (bis 1849) zusätzlich in die römisch-katholischen Matriken eingetragen werden. Nur diese besaßen Rechtskraft.

3. Erstmals mußten auch alle jüdischen Kultusgemeinden Matriken führen und zwar nach denselben Regeln wie die römisch-katholischen und in deutscher Sprache.

4.Geburten, Trauungen und Sterbefälle mußten nun in getrennten Büchern aufgeschrieben werden. Vor 1784 gab es ja oft nur ein gemeinsames Buch.

5. Die Standesfälle der einzelnen Orte einer Pfarre mußten nun in getrennten Büchern bzw. Kapiteln protokolliert werden. Das war ein Systembruch, denn bis dahin wurden die Standesfälle einer Pfarre in der Regel rein chronologisch vermerkt.

6. Bei unehlichen Kindern durfte der Name des Vaters nur mehr dann in den Taufbüchern vermerkt werden, wenn dieser sich selbst dazu bekannt hatte. (§4)
Davor war diese Entscheidung dem Matrikenführer (Pfarrer, Cooperator, Schulmeister usw.) überlassen. Diese trugen Väter oft auch "auf Verdacht" ein.

D.h. uneheliche Kinder, wo sich der Vater nicht dazu bekannt hat, erhielten (weiterhin) automatisch den Familiennamen der Mutter. Wenn sich der Vater dazu bekannte, konnte er zustimmen, daß das Kind seinen trug, aber er mußte nicht.
In der Praxis trugen ledige Kinder also weiterhin den Namen der Mutter. Heiratete diese später, wurden sie oft - aber nicht immer - legitimiert.

7. Bei den Trauungen wurden keine Spalten mit Angaben zu den Geburtsorten des Brautpaares und auch keine mit Angaben zu den Eltern des Brautpaares (Namen, Wohnorte, Berufe, lebend/gestorben) vorgesehen. (§1)
Das ist die zentrale Schwachstelle dieser Matrikenordnung. Denn damit wird es vielerorts ab 1784 schlagartig schwierig die Herkunft der Brautleute zu finden, bzw. sie der richtigen Familie zuzuordnen.
Erst rund 20 Jahre später wurde dieser Systemfehler wieder rückgängig gemacht.

8. Der zentrale Zweck dieser Matrikenordnung war es, die Geburten aller Knaben zu erfassen, um sie dann später auch als Soldaten rekrutieren zu können.
Deshalb mußten Pfarrer und Rabbiner jeweils zum Jahresende Jahrestabellen aller Standesfälle erstellen und an das jeweilige (militärische) Konskriptionsamt und das Kreisamt schicken. (§9)
Der Staat verfügte damit erstmals über genaue Informationen zu den Bevölkerungsbewegungen.

 

Alle Leser sind herzlich eingeladen, mir ihre Erfahrungen und ihre Sicht der Dinge zu schreiben und mich auf Fehler und Irrtümer meinerseits aufmerksam zu machen:

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